Bald beginnt die Fastenzeit. Sie erinnert an das Leiden Jesu und seine Niederlage am Kreuz. Zugleich zielt sie auf das Leben hier und jetzt. Das Leben besteht aus Höhen und Tiefen, aus Gedeihen und Verderben. Das Alte Testament zeigt dies an den Israeliten. Dem religiösen und politischen Höhenflug zur Zeit des Königs David folgte die Untreue gegenüber dem lebendigen Gott, bald auch politische Wirren, Orientierungsverlust, Bruderkämpfe, Reichsspaltung, Dekadenz. Es dauerte Generationen, bis die Israeliten eine neue Blüte erlebten.
Die Reformatoren schafften das Fasten ab, nicht wegen des Inhalts, sondern weil es zu einer formalen Hülse verkommen war. Inzwischen ist uns auch sein Inhalt fremd geworden. Verzicht und Mangel sind undenkbar, weil die heutige Technik jede Missernte ausgleicht und enorme Produktionen ermöglicht.
Trotz allem ist die Weltwirtschaft nun in eine Finanzkrise gerutscht. Anstatt dass sich die Menschen auf Einbußen und Verzicht einstellen, werfen die Regierungen mit staatlichen Milliarden um sich. Diese sollen angeblich die Wirtschaft stabilisieren. In Wirklichkeit werden die nötigen Flurbereinigungen behindert und die Investitionsanreize verfälscht. In einigen Jahren wird man darüber diskutieren, was schlimmer war: die Krise oder die Rettung?
Die Krise ist im Keim eine geistige Krise. Der moderne Mensch ist ins Suchtsyndrom der permanenten Wohlfahrt geraten. Er ist verängstigt und glaubt nicht, dass er mit weniger Gütern überleben kann. Die Staatshilfen sind das Lebkuchenhaus, das Hänsel und Gretel ewigen Wohlstand verspricht. Doch hinter den Süßigkeiten lauert die Hexe. Die Verschmelzung von Staat und Wirtschaft, wie sie jetzt en vogue ist, entspricht ungefähr der Wirtschaftspolitik Mussolinis. Als er merkte, dass sein Nirwana-Konto leer war, verbündete er sich mit dem bösesten aller Zauberer. Jede Sucht ist gleich: Wer dem kleinen Verzicht und den geringen Rückschlägen ausweicht, gerät in ernsthaftere Krisen mit schmerzhafteren Bedrückungen.
Eigentümlich frei, Februar 2009, Nr. 89