Leiden vermeiden

Es ist schlimm genug, wenn Menschen unter Naturkatastrophen und Krankheiten leiden. Und doch ist das Leiden unter Unterdrückung, Misshandlungen und Ausrottungsplänen vermutlich schlimmer. Schon rein quantitativ. Das Erdbeben in Lissabon forderte zwischen dreissig- und hunderttausend Menschenleben und hinterliess bei vielen Denkern der Aufklärung einen tiefen Eindruck. Verglichen mit dem, was Menschen unter Menschen erlitten haben und erleiden, war es eine Bagatelle. Zum Codewort für die menschliche Brutalität ist Auschwitz geworden. Denkt man über die Tragweite des Holocaust nach, beginnt man den Satz aus der Bibel zu verstehen: „Das Trachten des Menschenherzens ist böse von Jugend an.“ (Genesis 8,21) Das Gegenteil ist gewiss auch wahr: Menschen können in der Nächstenliebe und in der Kultur Bewundernswertes und Unvergessliches hervorbringen. Wer das menschliche Wesen verstehen will, muss den Widerspruch zunächst einmal aushalten.
Ich erinnere mich, dass im Geschichtsunterricht der Nationalsozialismus als eine Art Meteoriteneinschlag behandelt wurde. Hitler als GAU, durch unglückliche Umstände möglich geworden. Solche Umstände, so schien es, können fast nicht mehr zusammentreffen. Auch die Frage, weshalb Gott Auschwitz zuliess – vorzugsweise von Deutschen gestellt -, ist ein Versuch, die Schuld abzuschieben und Korrekturen am positiven Menschenbild zu vermeiden. Der Gedanke, Auschwitz könnte in der menschlichen Natur und in den modernen Systemen angelegt sein, ist beunruhigend. Und doch ist es allein dieser Gedanke, der am ehesten verhindern kann, dass der Genozid – nach Armenien, dem Holocaust, Kambodscha, Ruanda, dem Balkan – zum wiederholten Mal eine Zukunft hat.
Ist Trump tatsächlich so böse wie oft dargestellt, so bleibt der Wahltermin im November 2020 dennoch unverrückbar. Fehlbesetzungen lassen sich korrigieren, wenn man – gut alttestamentlich – die Menschen grundsätzlich mit einer gesunden Portion Skepsis betrachtet. Und wenn das Recht über der Macht steht.

Weltwoche 11/2017

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