Pfingsten ist das Fest des heiligen Geistes. Was Geister sind, darüber gibt’s verschiedene Vorstellungen. Fest steht, dass sie unsichtbar sind. Nicht zufällig ist der Ausdruck auf den Alkoholgehalt in Flüssigkeiten übergegangen: Spiritus, Sprit. Kirsch unterscheidet sich äußerlich nicht von Wasser. Erst wenn ich daran rieche und davon trinke, stelle ich einen Unterschied in der Wirkung fest. Dass die Christusgläubigen der Urgemeinde besoffen gewesen seien, vermuteten manche Beobachter, als sie deren Zusammenhalt und die Überwindung der Sprachbarrieren sahen (Apostelgeschichte 2,11). Zusammenhalt und die gegenseitige Solidarität verdankten sie jedoch nicht dem Alkohol, sondern dem guten Geist Gottes.
Es gibt auch böse Geister. Es wäre hilfreich, wenn man es ihnen ansähe. Doch das Böse liebt es, sich zu verstellen. Nichts ist logischer als das. Welcher brutale Tyrann hätte den Menschen nicht Frieden und Wohlstand versprochen? Luther brachte es mit seinem fabelhaften theologischen Geschick auf den Punkt: Der Teufel äfft Gott nach. Das zeigt die Bibel bis in sprachliche Details, etwa wenn der Teufel Tätigkeiten ausübt, die sonst Gott zugeordnet sind. Auch die Biologie bietet eindrückliche Beispiele. Bemerkenswert sind die Verstellungs- und Manipulationskünste von Parasiten, welche nicht nur das Aussehen, sondern auch die Verhaltensweise ihrer Wirte verändern. Der kleine Leber-Egel, ein Saugwurm, befällt Ameisen. Die Ameise bildet eine von mehreren Stationen auf dem Weg zum Endwirt, dem Schaf. Weil Schafe keine Ameisen fressen, infiziert der Egel die Ameisen mit einer Verhaltensstörung: Anstatt abends in ihren Bau zurückzukehren, verharren sie auf der Spitze eines Grashalms, wo die Chance, von einem Schaf gefressen zu werden, am grössten ist. So geht die Ameise drauf, und der Egel erreicht seinen Endwirt.
Der Leber-Egel gibt sich als Gras aus und überlistet das Schaf. Diktatoren verstellen sich als liebevolle Landesväter. Böse Geister äffen den Geist Gottes nach. Der Wolf äfft die Grossmutter nach und erwischt das Rotkäppchen. Die Alte im Lebkuchenhaus äfft eine treubesorgte Tante nach, sodass Hänsel und Gretel „meinten, sie wären im Himmel. In Wirklichkeit aber war sie eine böse Hexe, die den Kindern auflauerte, um sie zu töten, zu kochen und zu essen.“ Der Sozialstaat äfft die Nächstenliebe nach. Und seine Betreuungsbürokratie spielt den lieben Gott, von dem es im Psalm 139 heisst: Hinten und vorne hältst du mich umschlossen, und deine Hand hast du auf mich gelegt.
Sie gaukelt dem Bürger den Himmel vor – und könnte sich bald als böse Hexe entpuppen. Der liberale Denker Ludwig von Mises hielt in seinem Buch über die Bürokratie fest: „Wir wollen die Aufrichtigkeit des gutwilligen Amtsinhabers nicht in Frage stellen. Er ist voll von der Idee erfüllt, daß es seine heilige Pflicht sei, gegen die Selbstsucht des Pöbels zu kämpfen. In seinen eigenen Augen ist er der Vorkämpfer des ewigen, göttlichen Gesetzes. Wenn der individuelle Bürger ein Gesetz verletze, sei er ein Krimineller, der Strafe verdient. Er habe für seinen eigenen, selbstsüchtigen Vorteil gehandelt. Aber es sei ganz etwas anderes, wenn ein Amtsinhaber von den Gesetzen des Landes zum Vorteil des „Staates“ abweicht. – Dies ist der Kern der Philosophie des Bürokratismus. Es liegt nur ein Schritt zwischen solch einer Mentalität und dem vollkommenen Totalitarismus Stalins und Hitlers.“ (S. 104)
Mises wusste, wovon er sprach, denn er war Jude und man schrieb das Jahr 1943. Er hatte sich rechtzeitig in die USA absetzen können. Obwohl sich seither manches geändert hat, ist seine Aussage noch aktuell. Kollektivsysteme mit mächtigen und parasitären Bürokratien schmecken anfänglich wie Honig und Lebkuchen, besonders für Intellektuelle. Besonders süss schmeckt der Sozialismus, obwohl er überall, wo er konsequent angewandt wurde, scheiterte, und obwohl seine kommunistische Variante eine Blutspur von 100 Millionen Toten durch die Welt zog.
Es muss daran liegen, dass solche Systeme Ziele auf ihren Fahnen tragen, die jedermann gutheisst: Gerechtigkeit, Hilfe für Schwache, Frieden, Solidarität, Vorbehalte gegenüber dem Geld. Es sind geradezu biblische Positionen. Tatsächlich zeigen totalitäre Systeme eine vordergründige Ähnlichkeit zur jüdisch-christlichen Überlieferung. Kommunistische Parteien verboten die Religion ja nur, um die Kirche nachäffen zu können. Ihre Bischöfe waren die unteren Parteikader, ihr Kardinalskollegium war das Zentralkomitee, ihre Glaubenskongegation hiess Politbüro und ihr Papst war der Parteichef. Er war unfehlbar und amtierte auf Lebenszeit.
Unfehlbar und unkontrollierbar ist inzwischen auch die die europäische Bürokratie geworden. Die Deutschen lehnen die Zahlungen an Griechenland mit grosser Mehrheit ab – und dennoch werden sie geleistet. Wo die Zustimmung der bürokratischen Dunkelkammer genügt, braucht es keine Volkskammer mehr. Aber weshalb rutschte Griechenland in die Misere, ohne Krieg und ohne Naturkatastrophen? Nichts ist einfacher, als die Gründe zu nennen: Misswirtschaft, Verschwendungssucht, Vetternwirtschaft, Frühpensionierungen. Zahlreiche Griechen haben nach 35 Dienstjahren einen Rentenanspruch von 80 %. Die Pensionszahlungen machen einen großen Anteil des griechischen Haushalts aus. Die Misere hat also einen Namen: Sozial- und Wohlfahrtsstaat. Wenn Deutsche, die schlechter gestellt sind, dafür bezahlen müssen, droht eine Renaissance des Fremdenhasses. „Also doch! Die Griechen wollen unser Geld“ titelte die Bild-Zeitung. Wer wahre Solidarität unter Menschen und Völkern will, muss ihren parasitären Nachäffer, den Wohlfahrtsstaat, in enge Schranken weisen. Viele Politiker sammeln stattdessen Stimmen mit ihm. So wird der Sozial- und Wohlfahrtsstaat zur Lebenslüge der Demokratie. Das könnte ungemütlich werden. Denn die Ökonomie hat die Eigenschaft, den Schuldnern unbezahlte Rechnungen und ungedeckte Währungen irgendwann als harte Wahrheit auf den Kopf fallen zu lassen.
An Pfingsten geht es gewiss darum, den Geist als Erscheinungsform Gottes zu ehren. Ebenso wichtig ist jedoch, ihn als Geist der Wahrheit von allen Ungeistern unterscheiden zu lernen. Als Jesus mit der Samariterin am Brunnen sprach (Johannes 4), tauchte die Frage auf, wo man richtigerweise beten müsse, auf dem Berg Garizim oder in Jerusalem? Jesus antwortetete, nicht auf den Ort komme es an, sondern auf die Geisteshaltung. In Geist und Wahrheit soll Gott angebetet werden.
Ob der Geist, der uns leitet, der Geist der Wahrheit ist oder bloss ein übler Nachäffer, das muss immer wieder geklärt und abgeklärt werden. Abklärungen beziehen Fakten ein, und Fakten könnten zum Beispiel zeigen, dass es ein Fehler ist, Griechenland zu „retten“. Letzte Gewissheit ist jedoch nicht immer leicht zu haben. Deshalb erfordert die Klärung vor allem Klarheit im Geiste, und das ist Hören auf Gott. Das Gebet muss mitwirken, um den Geist der Wahrheit aufzuspüren und zu erkennen.
Zürcher Bote Pfingsten 2010