Josef war als Liebling des Vaters bei seinen Brüdern verhasst, sodass sie ihn als Sklaven nach Ägypten verkauften. Er landete beim Chef der Pharao-Leibwache namens Potifar. Dort erwies er sich als derart tüchtig, dass sein Herr ihm umfangreiche Kompetenzen übertrug. Ausserdem sah Josef gut aus, sodass Potifars Frau Lust auf Sex mit ihm verspürte. Josef verzichtete auf das geile Angebot, weil er Potifars Vertrauen nicht missbrauchen wollte. Eines Tages fasste sie ihn am Kleid, damit er sich zu ihr lege. Er flüchtete, wobei ihm sein Kleid vom Leib glitt. Nachher benützte sie sein Kleid als Beweis gegen seine angebliche Grenzverletzung. So schnell kann ein menschliches Herz von Zuneigung in Rache umschlagen und eine Annäherung verdrehen. Potifar liess Josef ins Gefängnis werfen. (Genesis 39)
Wo sich die Wege von Männern und Frauen kreuzen, kann die natürliche Anziehungskraft ausbrechen. Die Kulturen haben dagegen allerlei Sicherungen entwickelt, um die Gemeinschaften zu stabilisieren und das Wohl der Kinder zu schützen: Sinnvolle Regeln, Kontrollen, Verschleierung, Ächtung, brutale Strafen bis zur Hinrichtung. Die moderne Zivilisation hat die Sicherungen abgebaut und die Geschlechter gleichgestellt. Ihrer Natur nach bleiben sie jedoch unterschiedlich. Die Männer neigen dazu, Frauen zu bedrängen. Aber auch die Frauen können Männer manipulieren. Ihre Mittel sind kultivierter. Weil das Animalische mitspielt, geraten die Magnetfelder zwischen den Geschlechtern leicht ausser Kontrolle. Unsere Kultur scheint seit einiger Zeit über ihre Abschaffung der Konventionen zu erschrecken und übt sich in altbackener Zimperlichkeit und in Ächtung. Stattdessen sollten wir uns der Herausforderung stellen: Männer und Frauen arbeiten kollegial zusammen, und dabei können verwirrende, gefährliche Funken springen. Die Bibel formuliert Regeln für Männer und Frauen. Aber sie erzählt auch von Übertretungen und von Vergebung. Die Mann-Frau-Beziehung ist so unwägbar wie diejenige zwischen Mensch und Gott.
Weltwoche 26/2020