Und Pilatus sagte zu den Hohen Priestern und der Menge: Ich finde keine Schuld an diesem Menschen. (Lukas 23,4) – Im apostolischen Glaubensbekenntnis wird ausser Jesus und Maria nur Pontius Pilatus genannt: Gelitten unter Pontius Pilatus. Das ist insofern erstaunlich, als der Statthalter des Kaisers bei der Kreuzigung Jesu nicht die treibende Kraft war. Er fand keine Schuld an ihm und liess dem anwesenden Volk sogar die Wahl, Jesus oder einen Mörder freizulassen. Pontius Pilatus war kein Scheusal wie der spätere Kaiser Nero, geschweige denn wie die modernen Massenmörder. Doch gerade als untergeordneter Zauderer verkörpert er den typischen Politiker. Anstatt das Recht durchzusetzen, was seine Aufgabe war, widmete er sich den Zustimmungswerten und der Rechtfertigung seiner Macht. Er ist ein Spiegelbild der Politik, auch des Bundesrates in der Corona-Krise.
Durch sie erleidet die Schweiz eine beispiellose Ausdehnung des staatlichen Einflusses. Mit ihrer Ansprache zum Ersten August hat die Bundespräsidentin gezeigt, dass das für sie kein Problem ist. Sie erwähnte weder die Eingriffe in die verfassungsmässigen Freiheiten noch den wirtschaftlichen Schaden, der übrigens auch die Sozialwerke treffen wird. Sie liess kein Unbehagen erkennen. Sie sprach von «Solidarität» – ohne über mögliche Lohnsenkungen im aufgeblähten Staatsapparat ein Wort zu verlieren. Zuvorderst erwähnte sie einen Bergbauern, der seine Rente für Bedürftige nach Bern geschickt hatte. Das ist ehrenwert, aber angesichts der Kosten von 70 bis 80 Milliarden zugleich Kitsch. Die Bundesräte haben nach dem Muster von Pontius Pilatus gehandelt und die Rechtssicherheit in der Schweiz geschmälert. Sie sind keine Scheusale, doch haben sie den Machtzugang für allfällige Scheusale niederschwelliger gemacht. Aber es gibt Hoffnung: Gott hat trotz dem Versagen von Pontius Pilatus die Heilsgeschichte nicht abgebrochen. Er wird auch die Windungen der heutigen Politik beiseite schieben und dem Recht Nachachtung verschaffen.
Weltwoche 33/2020