Liebe dank Mangel

Und der Herr, Gott, machte dem Menschen und seiner Frau Röcke aus Fell und legte sie ihnen um. (Genesis 3,17) – Nachdem Adam und Eva ihre Grenze überschritten hatten, bekamen sie sie umso empfindlicher zu spüren. Die Schlange hatte sie in Versuchung geführt mit der Voraussage, der Genuss der verbotenen Frucht würde sie gottgleich und unsterblich machen. Stattdessen etablierte sich der Mangel als Merkmal menschlichen Daseins: Bei der Gewinnung von Nahrungsmitteln sollen Dornen und Disteln die Menschen verdriessen, und der Erdboden ist verflucht. Bei der Geburt sollen Schmerzen sowie die Abhängigkeit vom Mann die Mutterfreude dämpfen. Diese Erzählung bildet die grundsätzliche Erfahrung ab, dass Schmerz und Mangel das Dasein begleiten. Dazu gehört auch die mangelhafte Haut des Menschen ohne Fell. Gott selber schafft nun Linderung, indem er Adam und Eva Röcke aus Fell schneidert und sie ihnen sogar eigenhändig anzieht. Ein überraschender Akt der Barmherzigkeit.
Als Mangelwesen ist der Mensch – am deutlichsten als Säugling und als Greis – auf Liebesdienste angewiesen. Die Mangelsituation ist geradezu die Quelle der Liebe. Jeder bemüht sich, seine eigenen Mängel zu beseitigen, aber sie tauchen stets wieder auf. Liebesdienste anzunehmen kann Missbehagen auslösen. Zuweilen sind sie geradezu verpöhnt, weil sie eine Abhängigkeit darstellen. Das treibt die Forderungen nach anonymer Unterstützung in schwindlige Höhen. Die Abhängigkeit vom Staat scheint dagegen keinen Argwohn auszulösen. Das ist angesichts der Verschuldung erstaunlich. Sie beläuft sich trotz Friedenszeiten und guter Konjunktur weltweit auf gegen 250 Billionen Dollar (250.000.000.000.000). Liebe ist eben unbezahlbar. Und die frivole Verschiebung des Mangels in die Zukunft lässt ihr immer weniger Raum. André Glucksmann beschrieb vor einigen Jahren den Hass als Rückkehr einer elementaren Gewalt. Es wäre eine vornehme Aufgabe, sein Buch durch die Zulassung des Mangels und damit der Liebe zu widerlegen.

Weltwoche 41/2019

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