Josef aber war der Regent über das ganze Land; er war es, der an das ganze Volk des Landes Getreide verkaufte. (Genesis 42, 6) – Josef war zum obersten Minister in Ägypten aufgestiegen. Das wurde für seine Brüder, die unter Hungersnot litten, zum Glücksfall. Josefs Machtfülle verrät aber auch Wesentliches über Ägypten: Der Pharao war Eigentümer aller Ländereien und vergab sie zur Nutzung. Die Bauern waren ein Teil der Ländereien und konnten jederzeit für Bedürfnisse der Zentrale abkommandiert werden, etwa um Pyramiden zu bauen. Die Familie galt nicht als wirtschaftliche Einheit. Die Grossreiche Ägypten und Mesopotamien waren optimal organisiert und brachten andere Völker in ihre Abhängigkeit. Auch Josefs Brüdern widerfuhr dieses Schicksal. Ihre Nachfahren waren 430 Jahre lang Sklaven in Ägypten (Ex 12,40). Der Pharao war ein Gottkönig. Die Religion war völlig diesseitig, was die Mumifizierung von Verstorbenen zeigt.
Ägypten war ein ausgewachsener Sozialismus. Das Wort ist neuzeitlich, aber die Sache existiert seit Jahrtausenden. Die altorientalischen Grossreiche waren sozialistische Systeme. Auch kleinere Beispiele sind in der Geschichte reichlich zu finden: Gnostische Sekten, im Mittelalter die Katharer, Begarden und Taboriten. Mehrere Millionen Einwohner umfasste das repressive Reich der Inka, wo viele Menschen von Zwangsumsiedlungen und Massendeportationen betroffen waren. Für den islamischen Denker al-Afghani war der Sozialismus auch ein immanenter Teil des Islam. Die sozialistische Staatsidee geht bis auf Platon zurück. Vermutlich neigt jeder Staat eigendynamisch zum Sozialismus.
Die Bibel setzt deutliche Kontrapunkte: Abraham musste Ur in Mesopotamien verlassen. Die Israeliten verliessen Ägypten durch Gottes Weisung. Die Zehn Gebote setzen die wichtigsten Akzente auf dem Gottvertrauen, der Familie und dem Eigentumsschutz. Der Sozialismus bekämpft genau diese Bereiche. Sozialist darf jeder sein. Nur sollte er und sie merken, dass die Bibel dafür keine Grundlage liefert.
Weltwoche 36/2019