Und er begann sie zu lehren: Der Menschensohn muss vieles erleiden … und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er sprach das ganz offen aus. Da nahm ihn Petrus beiseite und fing an, ihm Vorwürfe zu machen. (Markus 8,31f) – Soeben haben die Jünger die Leidensankündigung Jesu gehört. Jesus redete ganz offen. Petrus widersprach sofort, aber gar nicht offen, sondern indem er Jesus beiseite nahm. Das ist eine typisch menschliche Geste bei mangelnder Courage. Ein Kollege nimmt einen andern, der die modische Mehrheitsmeinung kritisiert hat, beiseite und gibt ihm unter vier Augen zu verstehen, dass er «eigentlich» mit ihm einig sei. Eine Präsidentin führt vor der Sitzung telefonische Seitengespräche, um eine offene Diskussion zu vermeiden und den gewünschten Beschluss zu sichern. Ein Parlamentarier raunt in der Cafeteria jemandem zu, die andere Partei habe zwar recht, doch könne er ihr unmöglich zustimmen. Warum eigentlich?
Weil es unangenehm ist. Die Leidensankündigung Jesu erschien den Jüngern als unerträglich. Folgerichtig hielt ihr Wortführer dagegen. Er verkörpert den urmenschlichen Reflex, Unangenehmes entweder zu verschweigen, zu verdrängen oder höchstens hinter vorgehaltener Hand auszusprechen. Besonders virtuos geschieht dies, wenn jemand gerne in Illusionen schwelgt, gut dastehen, gewählt oder womöglich geliebt werden will. Die Beschönigung ist die Kernkompetenz vieler Menschen im öffentlichen Diskurs. Jesus reagiert derart grob, dass man ihn kaum wiedererkennt, und dass es jeden Hörer aufrütteln muss. Er aber wandte sich um, blickte auf seine Jünger und fuhr Petrus an: Fort mit dir, Satan, hinter mich! Denn nicht Göttliches, sondern Menschliches hast du im Sinn. (33) Vulgär ausgedrückt: Jesus scheisst Petrus zusammen. Das Unangenehme ist Teil unseres Daseins. Wer es beiseite schiebt, staut es auf und häuft es an. Wer es erträgt, hält die Tür für eine bessere Zukunft offen. Behaglichkeit und Wahrheit können sich widersprechen.
Weltwoche 39/2019