Freiwillig Sklave

Denn weil ich frei bin gegenüber allen, hab ich mich zum Sklaven aller gemacht (1. Korinther 9,19) – In diesem Satz steckt eine gehörige Spannung. Zu Sklaven werden Menschen normalerweise unfreiwillig gemacht, und für die Freiheit muss man kämpfen. Deshalb gibt es Freiheitshelden wie Wilhelm Tell, und oft fordert der Freiheitskampf einen Blutzoll. Paulus sagt nun von sich das Gegenteil: Er sei durchaus frei, habe sich aber freiwillig zum Sklaven aller gemacht.
Dieser Satz hat den Reformator Martin Luther zu seinem geflügelten Wort inspiriert: Ein Christenmensch ist ein freier Herr und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan. Luther erklärt das in seiner Schrift «Von der Freiheit eines Christenmenschen» damit, dass jeder Mensch von zweierlei Natur sei, von geistlicher und leiblicher. Zum geistlichen Menschen gehört, dass er fromm und gut sein kann. Nicht äussere Dinge machen ihn so, weder heilige Gewänder, noch Beten, Fasten und gute Werke. Das alles können auch böse Menschen tun und sich damit einen frommen Glanz zulegen. Luther zielt darauf ab, dass das gute, christliche Leben nicht von aussen nach innen aufgebaut wird. Also nicht durch Beten, Fasten, gute Werke etc. werde ich gottgefällig. Es ist gerade umgekehrt: Das Evangelium von Jesus Christus bewirkt in meinem Innern, dass ich mich als Geschöpf Gottes entdecke und dadurch zu Tricksereien, Lustbarkeiten und Reichtümern Distanz gewinne. Ich werde von ihnen unabhängig. Dadurch schärft sich der Blick für wichtigere Dinge, die der Welt und auch mir selbst dienen: Nächstenliebe, Einkehr, Gebet, auch Fasten – warum nicht? So haben die Reformatoren das Herkömmliche vom Kopf auf die Füsse gestellt. Unsere Epoche, die Christus weniger im Blick hat, denkt wieder stärker von aussen nach innen: Schöne Worte und Werke machen Menschen edel und Regierungen gut. Luther widerspricht: Gute Werke machen nimmermehr einen frommen Menschen, sondern ein frommer Mensch macht gute Werke.
Weltwoche 44/2019

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