Populismus

Die einflussreichsten Männer fanden nichts, was sie hätten tun können, denn das ganze Volk hing Jesus an und hörte auf ihn. (Lukas 19,48) – Populist ist ein Schimpfwort. Populisten machen sich beliebt, indem sie dem Trend hinterher reden. Deshalb ist der Populismus ein Risiko für die Demokratie. Denn was auf griechisch Demos heisst, nannte der Römer Populus, und beides heisst Volk. Will ich Zustimmung gewinnen, muss ich grosse Teile des Volkes überzeugen. Meine Botschaft muss einleuchtend und populär sein. Auch Jesus war volksnah. War er ein Populist? Träfe das zu, so hätte das Volk schwerlich ein paar Monate später seine Hinrichtung gefordert. Jesus gewann die Aufmerksamkeit und die Sympathie nicht durch Anbiederung, sondern durch tröstliche Inhalte, und weil er die Wahrhaftigkeit der Elite in Zweifel zog. Folgerichtig klagte diese Elite ihn beim römischen Statthalter an, er habe das Volk aufgewiegelt. Er sei also ein Populist.
Als im Herbst 1789 revolutionäre Gruppen zum Königspalast nach Versailles marschierten, um den König Louis XVI. und seine Gemahlin nach Paris zu bringen, liess der König gerade sein Jagdpferd satteln, und Marie Antoinette pflückte im Park die letzten Herbstblumen. Die beiden waren keine Populisten. Verdienen sie ein Lob, weil sie so realitätsblind waren? Jesus suchte zwar die Nähe der einfachen Leute, zog sich aber oft auch vom Volk zurück und stiess es gelegentlich vor den Kopf. Der wohlfeilste Populismus besteht darin, den Stimmbürgern zu versprechen, sie könnten auf fremde Kosten leben, zum Beispiel von Ausländern, Juden oder Reichen. Das versprechen rechte und linke Populisten. Um die Wählerschaft zu überzeugen, genügt das auf Dauer nicht. Ebenso wenig genügt es, politische Konkurrenten als angebliche Populisten beiseite zu mobben. Hochmütige Parteien verschwinden oftmals von selbst. Parteien sind ohnehin kein Zweck, sondern ein Mittel. Sie sind nur dazu da, damit das Volk zwischen verschiedenen Überzeugungen vergleichen kann.
Weltwoche 24/2019

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