Jesus aber antwortete: Sind nicht zehn rein geworden? Wo sind die übrigen neun? Hat sich keiner gefunden, der zurückgekehrt wäre, um Gott die Ehre zu geben, ausser diesem Fremden? (Lukas 17,17f) Mein jüngster Enkel Julian ist zehn Monate alt. Seine Eltern sind liebevoll und unermüdlich um sein Wohlergehen bemüht. Dafür bedanken kann sich der Kleine noch nicht. Sein Lächeln lässt sich als Dank verstehen. Der Dank ist vermutlich keine instinktive Regung, sondern ein erworbenes und erlerntes Kulturgut. «Hesch danggscheen gsait?» mahnen die Eltern ihr zweijähriges Kind, wenn es etwas bekommen hat. Dankbarkeit wird eingeübt. Schon zu biblischen Zeiten war sie kein Selbstläufer. Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewig!. – So beginnen die Psalmen 106 und 107 (in der neuen Zürcher Bibel Preiset den Herrn). Das Lukasevangelium erzählt die Geschichte von der Heilung der zehn Aussätzigen. Die Heilung ist ein Wunder, aber die Pointe liegt bei der mangelnden Dankbarkeit der Geheilten: Neun gehen zur Tagesordnung über, nur der Samaritaner kehrt zurück, um sich bei Jesus zu bedanken.
Ich hatte nie Lepra, brauchte keine Heilung und muss mich nicht bedanken. Ist das klug gedacht? Könnte ich nicht dankbar sein für alles Garstige, das an mir vorübergegangen ist? Und für alles, was einigermassen gut gelaufen ist? Im Evangelium dankt nur einer, also zehn Prozent. Das ist keine empirisch erhobene Quote, aber ein Hinweis. Kleinkinder müssen weder ermessen noch verdanken, was ihre Eltern ihnen zuliebe tun. Auf die Umsorgung haben sie ein Anrecht, weil sie sonst nicht überleben könnten. Dass «ich» auf alles Mögliche ein Anrecht habe, ist inzwischen auch unter Erwachsenen eine verbreitete Auffassung. Sie ist kindlich oder besser gesagt: kindisch, weil gekoppelt mit Infantilisierung und Undankbarkeit. Das gereicht niemandem zum Wohl. Die Dankbarkeit hingegen, auch für scheinbar selbstverständliche Dinge, kann ungeahnte Weisheiten ins Bewusstsein zurückbringen.
Weltwoche 50/2019