Busse befreit – Einbussen sind möglich

Der Bettag heisst auch Dank- und Buss-Tag. Die Busse ist von den drei Aspekten der schwierigste und unbeliebteste. Eine Busse haben wir zu bezahlen, wenn wir eine Regel übertreten haben und schuldig geworden sind. Über die eigene Schuld, vor allem wenn sie ernsthaft ist, lässt sich nicht so leicht reden wie über die Schuld der anderen. Diese menschliche Eigenart machte sich der Profet Natan zunutze, als er den König David wegen seiner Schuld zur Rede stellte. David hatte vom Palast aus eine schöne Frau namens Batseba gesehen, sie zu sich kommen lassen und geschwängert. Batseba war jedoch verheiratet mit Urija, der als Soldat mit den königlichen Truppen fernab von Jerusalem im Felde war. David wollte nun seine Vaterschaft verheimlichen und erteilte Urija Urlaub, damit er zu Hause mit seiner Frau schliefe. Urija seinerseits hatte einen guten Charakter und weigerte sich, das Privileg anzunehmen, während seine Kameraden draussen auf dem Schlachtfeld waren. Anstatt im Haus übernachtete er davor am Boden. David musste sich also etwas neues einfallen lassen. Er gab Urija bei der Rückkehr zu den Truppen einen versiegelten Befehl an den Kommandanten mit. Darin wurde dieser verpflichtet, den Urija dort einzusetzen, wo es am gefährlichen ist, damit er bei den Kampfhandlungen ums Leben käme. Der Plan gelang. Als Batseba vom Tod ihres Mannes erfuhr, trauerte sie emotional wie auch formell um ihn. Als die Trauerzeit um war, war Davids Zeit gekommen, und er heiratete die schöne Batseba. (2. Samuel 11)
Ein König kann sich alles erlauben, könnte man denken. Von solchen Königen, welche die Macht als Freipass in Anspruch nehmen, gab und gibt ja mehr als genug. Und weil ein solcher Freipass angenehm ist, sorgen sie dafür, dass sie die Macht nicht verlieren. Konkurrenten werden unschädlich gemacht, vertrieben oder beseitigt. In der Demokratie funktioniert der Machterhalt nicht selten, indem man dem Volk Wohltaten verspricht, für die gar kein Geld da ist. Das ist einer der Gründe für die Verschuldung vieler Länder. Nach biblischer Auffassung ist jedoch der König nicht souverän, sondern ist genauso dem Willen Gottes unterworfen wie alle anderen Menschen. Deshalb erhielt David nach seiner Tat Besuch von einem Gottesboten. Der Profet Natan erhielt eine Audienz und erzählte ihm die Geschichte von zwei Männern, welche Nachbarn waren. Einer war reich, besass grosse Herden und Ländereien, der andere war mausarm und hatte nichts als ein Schaf, für das er liebevoll sorgte und mit dem er im gleichen Raum schlief. Da erhielt der reiche Mann Besuch und sah sich verpflichtet, für die Gäste ein Tier zu schlachten, um sie zu bewirten. Seine eigenen Tiere reuten ihn, und so er kam auf die Idee, seinem armen Nachbarn dessen Schaf wegzunehmen und zu schlachten. Das tat er denn auch. Als David das hörte, wurde er zornig und rief aus, dieser Mann sein ein Kind des Todes.
Natan hatte erreicht, was er wollte. Davids Empörung war die Brücke zur Deutung der Geschichte, und Natan sagte ihm auf den Kopf zu: Du bist der Mann! So muss man biblische Geschichten deuten: Du bist der Mann, du bist die Frau! Tatsächlich suchen wir ja in Geschichten, Theaterstücken und Filmen stets irgendwie uns selber. Sie bieten uns Möglichkeiten, unsere Neurosen und Schuldgefühle abzuarbeiten. Wahrscheinlich sind Kriminalfilme deshalb so beliebt. Bei David blieb die Schulderkenntnis nicht im Unterbewusstsein stecken. Vielmehr hielt ihm der Profet alles eins zu eins vor und drohte ihm auch die Strafe an. David kam sogleich zur Einsicht und bekannte sich schuldig. Da wurde die Strafe abgemildert, und nur der Sohn aus der Verbindung mit Batseba musste sterben.
David tat Busse, indem er fastete und am Boden anstatt im Bett schlief. Das Entscheidende an der Busse ist aber nicht, dass wir äusserliche Verhaltensnormen an den Tag legen oder einen »Lätsch« machen. Entscheidend ist, dass wir den Übergriff, den wir uns erlaubt haben, als solchen erkennen und dadurch unsere Gesinnung ändern. Das Alte Testament redet von Umkehr. Der Psalm 51 wird David als Bussgebet im Zusammenhang mit Batseba zugeschrieben. »Meine Freveltaten kenne ich wohl, und immer steht meine Sünde mir vor Augen. An dir allein habe ich gesündigt, und ich habe getan, was dir missfällt; ….. Denn an Schlachtopfern hast du kein Gefallen, und wollte ich Brandopfer bringen, so willst du sie nicht. Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerbrochener Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.« – Einen zerbrochenen Geist und ein zerschlagenes Herz sind Demütigungen, die sich niemand wünscht. Aber der Friede kann zuweilen nur gesichert werden, wenn die Streitparteien Demut aufbringen. Und die Zukunft kann nur geschont und gesichert werden, wenn die Menschen der Gegenwart auf Übergriffe verzichten.
Zu den Übergriffen zählen die Ansprüche der heutigen westlichen Bevölkerungen an den Staat. Es ist klar, dass der Sozialstaat in seiner anfänglich minimalen Form ein Erfolgsmodell war und den Zusammenhalt der modernen Gesellschaft gestärkt hat. Nach einer oft belegten Gesetzmässigkeit der Geschichte werden jedoch die gleichen Kräfte, welche eine Kultur emporgebracht haben, zu Ursachen des Niedergangs, weil sie sich einseitig entwickeln. Der Aufstieg von Kulturen ist untrennbar mit ihrem Niedergang verknüpft. Aus diesem Grunde ist auch die Demokratie nie gesichert. Sie hat zwar auf wunderbare Weise freiheitliche Lebensformen und Wohlstand ermöglicht. Aber sobald ihre Akteure mit dem Stimmrecht einseitig ihre eigenen materiellen Interessen verfolgen, wird die Demokratie zu einer Ursache des Niedergangs. Der Freiheitsgrad unserer Kultur hat möglicherweise seinen Höhepunkt bereits überschritten.
Um den Niedergang abzuwenden, braucht es Einkehr, Busse und Demut. Nur daraus ersteht die Kraft, die Ansprüche auf Konsum und Sicherheit herunterzuschrauben. Dieses Ziel erreicht man keineswegs durch staatliche Regulierungen, denn diese gehören zu den wichtigsten Ursachen für die Übergriffe auf die Zukunft. Oder lässt es sich etwa, um ein Beispiel zu nennen, von ferne begründen, dass der Staat kostbare und umweltschädigende Mobilität verschleudert, indem er sich bei der Bahn mit einem Kostendeckungsgrad von gut 40 Prozent begnügt und den Rest wie ein steinreicher Onkel draufzahlt? Der Onkel Staat ist keineswegs reich. Zum Glück haben wir die Schuldenbremse. Doch führt sie, weil viele Sozialausgaben gesetzlich fix sind, zur Verdrängung von anderen Staatsaufgaben wie Bildung und Landesverteidigung. Das kann auf Dauer kaum gut gehen.
Busse und Einbussen sind erträglicher als man denkt. Vertrauen als Geisteshaltung beflügelt, während panische Besitzstandswahrung lähmt. »Du bist die Frau! Du bist der Mann!« Das gilt nicht nur bei Anklagen, sondern noch viel häufiger bei göttlichen Zusprüchen und Verheissungen. »Bis in euer Alter bin ich es: Ich bin es, der euch schleppt. Ich habe es getan, und ich werde tragen, und ich werde euch schleppen und euch retten.« (Jesaja 46,4)
Zürcher Bote, Dank-, Buss- und Bettag 2013

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