Selig die Trauernden – sie werden getröstet werden. (Matthäus 5,4) – Der griechische Wortstamm im Urtext bedeutet leiden. Leiden ist nicht immer trauern, aber trauern ist leiden. Die altgriechische Philosophenschule Stoa war der Ansicht, ein weiser Mensch müsse von Trauer frei sein. Unsere moderne Denkweise kommt dieser Auffassung nahe: Trauer ist möglichst zu vermeiden. Als Pfarrer hab ich oft erlebt, dass Ärzte den Trauernden Medikamente gaben, damit sie an der Beerdigung die Fassung behielten. Trauer und Tränen erscheinen weithin als unnötig und peinlich. Der christliche Glaube verspricht ja die Auferstehung und ist überhaupt auf Hoffnung angelegt. Da scheint die Trauer keinen Platz zu haben.
Diese Sichtweise halte ich für verkürzt. Schon im Alten Testament bezieht sich die Trauer nicht immer auf Verstorbene und sonstige Verluste. Trauer wird über Israel und Jerusalem kommen, nicht zuletzt über sich selbst, das eigene Versagen, die eigene Misere. In solcher Trauer steckt ein Stück Einsicht und Busse. Weinen und klagen haben ihre Zeit, sagt der Prediger Salomo (Kap 3). Vor gut 50 Jahren attestierten Alexander und Margarete Mitscherlich der deutschen Nachkriegsgesellschaft eine «Unfähigkeit zu trauern». Die Verbrechen der NS-Zeit seien kollektiv verdrängt worden. Die Deutschen hätten sich selbst als Opfer Hitlers empfunden. Und sie hätten die schmerzliche Scham und Trauer mit dem Willen zum Wirtschaftswunder kompensiert.
Die Selbstdarstellung unserer Zivilisation, etwa in der Werbung, zeigt strahlende Ausgelassenheit bis hin zu Luftsprüngen. Weshalb und wie oft ein Mensch in Trauer fällt, hängt gewiss auch von der persönlichen Veranlagung ab. Aber wer keine Trauer zulässt, bleibt stecken. Sie ist eine ungeliebte, aber gesunde Gemütsregung. Christus hat die Trauernden selig gesprochen. Trauer mit allen Mitteln wegzudrücken, wäre töricht. Vor allem ist es unnötig. Denn die Trauernden werden getröstet werden. Das ist eine Verheissung – und eine milliardenfache Erfahrung.
Weltwoche 13/2019