Keiner kann sich etwas nehmen, wenn es ihm nicht vom Himmel gegeben ist. (Johannes 3,27) Es ist eine grundlegende Erfahrung, dass ich mich bemühen muss, um meine Ziele zu erreichen. Viele haben in den Jugendjahren zu wenig Fleiss in die Schule gesteckt und sich deshalb beruflich nicht – oder erst später – optimal entwickelt. Auch ich. Besonders deutlich zeigt der Wettkampfsport, wie eng der Erfolg mit einem harten Einsatz zusammenhängt.
Ist es bei der Gotteserkenntnis auch so? Zumindest gibt es spektakuläre Bemühungen, wie Menschen sich Gott annähern und ihn genauer kennen lernen wollen. Ich unterscheide existentielle und geistige Bemühungen. Bei den existentiellen sind Menschen bereit, auf Annehmlichkeiten, Vorteile und letztlich sogar auf ihr Leben zu verzichten, um Gott näherzukommen. So verhielten sich Eremiten, Mönche, Nonnen, Märtyrer, darunter unbeachtete Privatpersonen. Die geistigen Bemühungen zeigen sich im Studium von biblischen und christlichen Schriften, im Denken und Schreiben, Lernen und Lehren. Gebete gehören ohnehin dazu. Oftmals wurden beide Bereiche miteinander verknüpft, besonders in den Klöstern.
Zweifellos können einen solche Bemühungen bereichern. Dennoch ist von der Bibel her festzuhalten, dass die Gotteserkenntnis ausschliesslich von Gott abhängt. Das Eingangszitat stammt von Johannes dem Täufer. Für ihn reichen Worte nicht aus, wenn Gott nicht zuvor durch seinen Geist den nötigen Verstand gegeben hat. Sogar Mose, der dem Volk seine Gleichgültigkeit vorwirft, betrachtet die Gotteserkenntnis als Geschenk. Ihr habt selbst alles gesehen, was der HERR vor euren Augen im Land Ägypten getan hat …Aber der HERR hat euch bis zum heutigen Tag noch kein Herz gegeben, das versteht. (Deuteronomium 29,2f.) Das bestätigt auch Christus: Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat. (Johannes 6,44) Das kann abschrecken. Aber noch mehr kann diese Abhängigkeit von Gott entspannen, inspirieren und Bescheidenheit schenken.
Weltwoche 10/2019