Trotz allem

Nun aber bleibe ich stets bei dir, du hältst mich an meiner rechten Hand. (Psalm 73,23) – Es ist sattsam als Trotzphase bekannt, wenn Anderthalb- bis Dreijährige ihren eigenen Willen ausprobieren. Zwölf- bis Fünzehnjährige tun es noch intensiver. Aber mir fällt auf, dass ich auch später, auch mit 65 Jahren noch trotzen kann. Vielleicht gibt´s eine Trotzphase im Alter. Wäre das peinlich?
Der Trotz meint eine Unfügsamkeit. Jemand will sich nicht fügen. Das ist mühsam und zugleich erfreulich. Menschen, die sich in alles fügen, sind als Personen nicht spürbar. Es gibt Dinge, in die wir uns fügen müssen: Ins eigene Wesen, das wir nicht ändern können; in ein Handicap; in einen Schicksalsschlag. Aber bei weitem nicht in alles.
Der Psalmvers beginnt mit einem trotzigen Impuls: Nun aber bleibe ich stets bei dir. Andere Übersetzungen schreiben »Dennoch«. Es gibt viele Argumente gegen Gott. Manche schlagen derart durch, dass Menschen zu Agnostikern oder Atheisten werden. Auch Abkömmlinge aus frommen Familien und Pfarrhäusern sind Atheisten geworden. Manche aus Trotz.
Der Psalmdichter beschreitet den umgekehrten Weg: Er ist von Gott enttäuscht, weil es den gottlosen Prahlern so gut geht, und will sich abwenden. Doch im letzten Moment dreht er sich noch einmal um und sagt: Trotz allem, ainewäg bleibe ich bei dir. »Stets« zeigt eine Konstante. Mag sich im Laufe des Lebens fast alles wandeln, bleibt doch meine Verbindung zu Gott bestehen – nicht starr, aber bestehen. Sie ist das wie ein Kompass in verwirrender Landschaft.
Manchmal ist es nötig, gegenüber Menschen zu trotzen. Auf Wanderungen haben wir schon dem Regen getrotzt. Ebenso kann man Enttäuschungen trotzen. Ich lass mich nicht unterkriegen und versuch es trotz allem noch einmal mit Gott. Tu ich das, so ist Gott kein Accessoire, auf das ich ebenso gut verzichten könnte. Du hältst mich an meiner rechten Hand. – Die rechte Hand meint die stärkere Hand. Nicht wo ich am schwächsten bin, ist Gottes Platz, sondern wo ich mich stark fühle.
Weltwoche 12/2017

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