Der Sohn Gottes, Jesus Christus, der durch uns bei euch verkündigt worden ist, war nicht Ja und Nein, sondern in ihm ist das Ja Wirklichkeit geworden. (2. Korinther 1,19)
Gottes Ja zur Welt ist das Geheimnis der Weihnacht. In einer Welt voller Wenn und Aber, in einer Kirche voller Vielleicht, und in eine Gesellschaft, die ständig »sowohl als auch« sagt, dringt dieses klare göttliche JA. Gott hat es gesprochen, als Jesus geboren wurde, und damit hat er uns bejaht.
Beim ersten Hören fällt es nicht auf, wie fundamental diese Aussage unserer Denkweise widerspricht. Wir sind gewohnt in Zweierkategorien zu denken, und wir reden auch so: «Alles hat zwei Seiten.« – «Die Rückseite der Medaille…« Auch die Bibel redet manchmal so. Die meisten Kulturen denken so und ordnen das Gute der rechten, als Böse der linken Seite zu. Das hat mit politischen Lagern nichts zu tun.
Zwei Kategorien: Eine, die uns gut tut und die wir bejahen. Und eine andere, die uns schadet, und die wir ablehnen. Sogar dass es zwei Geschlechter gibt, wurde manchmal so interpretiert. Ein absurder Gedanke, doch in der Zeit des Hexenwahns war er verbreitet. Aus all dem nährte sich das Schwarz-Weiss-Denken. Gott ist das gute Prinzip, aber es gibt einen Gegenspieler, den Satan, der alles Gute zerstören will. Viele Religionen zur Zeit von Jesus und Paulus waren davon erfüllt. Auch die christliche Kirche liess sich davon anstecken. Bis heute begegnen wir dieser Denkweise. Die Esoterik rechnet mit einer Innen- und einer Aussenseite des Wissens. «Esoterik« zielt auf das Innere, das mit der Wissenschaft unvereinbar ist. In dieses Innere wollen die Esoteriker vorstossen. Das Böse ist das Äussere: die sichtbare Welt, die Technik, der Fortschritt. Wer sie abbremst, behindert oder verteufelt, tut Gutes. Als positiv gutes Werk gilt jegliche Art von Unterstützung – ohne genauer hinzuschauen, was damit zum Beispiel in Afrika alles angerichtet wurde.
»Der Sohn Gottes, Jesus Christus, war nicht Ja und Nein, sondern in ihm ist das Ja Wirklichkeit geworden.« Das ist die Weihnachtsbotschaft. Sie ist erstaunlich angesichts einer Welt, die damals so fragwürdig war wie heute. Was Gott sich mit diesem Ja, leistet, das können wir Menschen uns nicht leisten. Wo würde es hinführen, wenn wir zu unseren Kindern nicht nein sagen könnten? Und wo würde es hinführen, wenn wir als Staatsbürger nicht nein stimmen könnten? Die erfolgreichsten Parteien der letzten Jahre haben ihre Stimmenanteile damit gewonnen, dass sie oft Nein sagten. Nein sagen ist oft nötig, um die weltliche Ordnung zu stabilisieren. Aber um ist nein sagen zu können, muss man zuerst das gross Ja Gottes gehört haben.
Manchen Leuten geht das Nein am leichtesten über die Lippen, wenn sie an die eigene Kulturgeschichte denken. Diese europäischen Diktaturen, Barbareien und Unterdrückungen! Diese Eidgenossenschaft mit ihren Heldengeschichten, Kriegen und Armeen! Zu diesen Geschichten sagen viele nein und lehnen damit die Wurzeln ab. Am meisten leiden unsere deutschen Nachbarn unter ihrer Vergangenheit. In ihrem politischen Urteil sind sie noch immer beeinträchtigt. Bei der Fehlkonstruktion EU und Einheitswährung sagen die Deutschen immer ja und werden zur Kasse gerufen, bloss weil sie glauben, sie müssten noch immer nein zu sich selber sagen.
Die Zerknirschung über die Vergangenheit hat etwas Zersetzendes. Fallen »Intellektuelle« über ihre Landsleute und Geschichte her, so gleicht das einem Geschwür. Es fällt mir auf, dass die Jugend auf solche Geschichtsbetrachtung schlecht anspricht. Sie merkt vermutlich, dass die Zerknirschung nicht ehrlich ist. Und dass es vielleicht klüger wäre, über Gestalten wie Hitler und Stalin zu lachen, weil der Schaden ohnehin nicht mehr gutzumachen ist. Das Nein gegen seine eigene Kultur nützt niemandem. Wir müssen lernen, uns dem Ja Gottes anzuschliessen und uns selber zu bejahen.
Der Schriftsteller Martin Walser sagte in einer Rede vor 12 Jahren: »Ich habe lernen müssen, wegzuschauen. Ich habe mehrere Zufluchtwinkel, in die sich mein Blick sofort flüchtet, wenn mir der Bildschirm die Welt als eine unerträgliche vorführt. Ich finde, meine Reaktion sei verhältnismäßig. Unerträgliches muß ich nicht ertragen. Auch im Wegdenken bin ich geübt. Ich käme ohne Wegschauen und Wegdenken nicht durch den Tag und schon gar nicht durch die Nacht. Ich bin auch nicht der Ansicht, daß alles gesühnt werden muß. In einer Welt, in der alles gesühnt werden müßte, könnte ich nicht leben.« – Tatsächlich flimmert uns der Bildschirm täglich Greueltaten in die Stube, die wir zur Kenntnis nehmen, womöglich in Pantoffeln mit Bierglas und Chips. Doch unser Gemüt kann nicht beliebige Mengen von solchen Informationen verdauen. Wegschauen oder ausschalten ist oft die bessere Strategie.
In diese Druckkammer weht der weihnächtliche Satz aus dem Korintherbrief wie eine frische Brise. Gottes Ja ist laut geworden im Geschrei eines Säuglings. Ein Säugling bedeutet den Durchbruch zu einer neuen Daseinsform. Was vorher wichtig war, tritt zurück. Die Agenda wird auf den Kopf gestellt. Planen ist schwierig, weil der Säugling, den man liebt und für den man sorgt, spontan schreit, lacht und in die Windeln macht. Er durchkreuzt unsere Pläne.
So durchkreuzt Jesus Christus unsere Pläne. Er durchkreuzt unsere ganze Existenz. Vieles, was wichtig war, tritt zurück. Wenn ein Säugling seine Eltern beansprucht, verwandelt er sie zugleich. Jesus verwandelt uns, als Kind in der Krippe, und noch mehr als erwachsener Gottessohn. Wie ein Personalchef seinen Untergebenen teilt er uns mit, wir seien befördert worden. Wir bekämen eine höhere Verantwortung und mehr Lohn. Mehr Wertschätzung. Bejahung. So nimmt uns Jesus Christus in Anspruch.
Aus guten Gründen bekannte sich Martin Walser zum Wegschauen. Wegschauen dürfen auch wir. Wer wegschaut, schaut anderswo hin. Weg von den Konstruktionen, die uns die Medien auftischen. Auch wenn sie auf Tatsachen beruhen, sind es doch Konstruktionen, durch die Auswahl zur Schwarzmalerei manipuliert. Die Schwarzmalerei verleitet uns dazu, am falschen Ort Ja zu sagen. Wer Gottes Ja nicht kennt, meint die Welt selber retten zu müssen. So entstehen Utopien: Der Sozialismus, der Nationalismus, die EU, die Einheitswährung, der bessere Mensch.
Die Geburt des Gottessohnes war ein Neuanfang. Sie geschah in schwierige Verhältnisse hinein: In die korrupte Politik der Herodes-Dynastie, in die Grossmachtallüren des römischen Reiches, in die religiöse Verkrampfung und Heuchelei der Pharisäer, in die unmenschliche Haltung gegenüber Behinderten und Kranken, in den Neid gegenüber Reichen und in das Misstrauen gegenüber Ausländern. Die Geburt Jesu ermächtigt uns, von all diesen Lieblingsthemen des Tagesgeschwätzes wegzuschauen – und hinzuschauen zum Neubeginn. Diesen Neubeginn dürfen wir für uns selber in Anspruch nehmen. So beginnt das Ja Gottes uns Menschen zu tragen. Es trägt uns über die Kümmernisse der Jahre hinweg und schenkt uns Hoffnung sowie einen ungetrübten Blick.
Zürcher Bote, Dezember 2010