Alternativen zum Staat

Und du, Mensch, zieh in die Verbannung, fort von deiner Stätte an einen anderen Ort! (Ezechiel 12,3) – Das Neujahr erinnert daran, dass zuweilen Übergänge in neue Lebensumstände erfolgen, auch wenn das nicht beim Jahreswechsel geschieht. In der Geschichte Gottes mit den Menschen spielen Aufbrüche in eine unbekannte Zukunft mehrmals eine Schlüsselrolle. Angefangen beim Auszug aus Ägypten, als die Israeliten die Despotie verliessen und mit Gottes Hilfe ein separates Gemeinwesen gründeten. Jahrhunderte später geschah unter umgekehrten Vorzeichen das Gleiche: In der Verbannung bildeten die Israeliten eigene Kommunitäten und fanden zu einem neuen Glauben an Gott. Zurück in Kanaan, weitere Jahrhunderte später, erlitten sie den Totalverlust ihres Landes und zerstreuten sich in der Diaspora. Fast alle diese Übergänge führten in kleinere Strukturen mit grösserer Freiheit. In nachbiblischer Zeit führte die sogenannte «Völkerwanderung» in neue Gemeinschaftsbildungen. Der verfehlte Ausdruck stammt aus dem nationalistisch tickenden 19. Jahrhundert. Die wandernden «Völker» waren in Wirklichkeit Scharen. Ein «Grieche» oder «Römer» konnte plötzlich «Hunne» werden und umgekehrt.
Verschiedene Gründe treiben den Auszug an, nicht zuletzt Staatsversagen. In einem zukünftigen Gesellschaftsmodell könnten sich Menschen in privaten Dienstleistungsunternehmen zusammenfinden, welche den Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum bieten. Die Mitglieder zahlen einen vertraglich fixierten Beitrag pro Jahr. Ansonsten können sie machen, was sie wollen, begrenzt durch die Rechte der anderen und den Vertrag des Zusammenlebens. Die Dienstleister können vom Krankenhaus über Schulen und Kindergärten bis zur Müllabfuhr alles abdecken. «Freie Privatstädte» als Alternative zum Staat sind heute eine sich ausbreitende Idee.
Weltwoche 2/2022

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