Und seine Jünger fragten ihn: Rabbi, wer hat gesündigt, er oder seine Eltern, dass er blind geboren wurde? (Johannes 9,2) – Die Geschichte vom Blinden beginnt damit, dass die Jünger über die Gründe seiner Blindheit spekulieren und dahinter Sünden vermuten. Jesus weist ihren Verdacht zurück. Die Frage nach der Kausalität ist zwar ehrenwert und hat der Menschheit unschätzbare Forschungsergebnisse und Verbesserungen beschert. Aber zuweilen führt sie ins Nichts. Es gibt Phänomene, die man weder erklären noch ändern kann. Die Weisheit besteht dann darin, sie existentiell hinzunehmen als Teil eines rätselhaften und manchmal schmerzlichen Daseins. In der Pandemie ertragen das nicht alle. Kausalitätsketten und «Sünden» muss man hier lückenlos aufrollen. Notfalls reden die Fachleute und die Medien von Korrelationen, was keine Kausalitäten sind, aber solche suggerieren. Die NZZ bot eine ganze Seite davon: Korrelationen in Zürcher Gemeinden zwischen der Ansteckungszahl und dem Ausländeranteil, der Maturitätsquote oder dem SVP-Wähleranteil. Die Computer ermöglichen Datenvergleiche bis zur Groteske. Die amerikanische Website Spurious Correlations bietet noch lustigere Beispiele: Im US-Bundesstaat Maine besteht eine enge Korrelation zwischen der Scheidungsrate und dem Margarine-Konsum pro Kopf. Nahezu perfekt ist die Korrelation zwischen dem Rohölimport der USA aus Norwegen und der Anzahl Autofahrer, die bei einer Bahnkollision ihr Leben verloren. Schon im Jahr 1968 wies der Historiker Herbert Lüthy darauf hin, dass sich die Sozialwissenschaften gerne einen mathematischen Anstrich geben, um als wissenschaftlich zu erscheinen. Das fördert auch in Coronazeiten Irrtümer und Verdächtigungen. Weniger Daten und mehr denken wäre klüger. Und noch etwas: Der Blinde im Evangelium wurde von Jesus geheilt.
Weltwoche 21/2021