Weinen und Lachen

Für alles gibt es eine Stunde, und Zeit gibt es für jedes Vorhaben unter dem Himmel: Zeit zum Gebären und Zeit zum Sterben, …Zeit zum Weinen und Zeit zum Lachen. (Prediger 3) – Das Predigerbuch nennt vierzehn solcher Gegensatzpaare wie Weinen und Lachen oder Klagen und Tanzen. Die Zahl 28 ist vier mal sieben und deutet Vollständigkeit an. Das erfüllte Leben ist aus willkommenen und unliebsamen Angelegenheiten gemischt. Nur die Kinder soll man vor Widerlichkeiten möglichst verschonen. Stellen Erwachsene diesen Anspruch, hängen sie vermutlich einer infantilen Weltsicht nach. Und tragen sie dabei politische Verantwortung, drohen Gefahren: Weh dir, du Land, dessen König ein Knabe ist und dessen Fürsten schon am Morgen tafeln. (10,16)
Gebären und Sterben sind die vitalsten Angelegenheiten: Die Mitwirkung bei der Entstehung neuen Lebens angesichts der Vergänglichkeit. Die Zeit zum Gebären war für die Frau nicht selten die Zeit zum Sterben. Das haben wir Gott sei Dank ebenso hinter uns wie andere Zumutungen. Manche wähnen sich schon im irdischen Himmel, über den Heinrich Heine gespottet hat: «Dort amüsiert man sich ganz süperbe, man lebt in lauter Lust und Plaisir. Die gebratenen Gänse fliegen herum und fühlen sich geschmeichelt, wenn man sie verzehrt. Torten wachsen wild, und überall Bäche mit Bouillon und Champagner.» Heine wäre erstaunt, wie nahe Europa seiner Vision gekommen ist. Leben wir im Himmel? Vielleicht ist unser Blick bloss getrübt, und wir beleuchten die Schattenseiten bengalisch, indem wir die Güter der Nachkommen abfackeln. Das wäre infantil. Klug wäre es, die Worte des Predigers zu beherzigen: Am Tag des Glücks sei guter Dinge, und am Tag des Unglücks bedenke: Auch diesen wie jenen hat Gott gemacht, und was künftig sein wird, kann der Mensch nicht wissen. (7,14)
Weltwoche 6/2021

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