Erziehung

Seine Mutter sagte zu ihm: Kind, warum hast du uns das angetan? Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sagte zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich im Haus meines Vaters sein muss? (Lukas 2,48f) – Aus der Kindheit Jesu erfahren wir nur die Episode vom Zwölfjährigen im Tempel. Er reiste mit seinen Eltern nach Jerusalem, entfernte sich von ihnen, wurde fieberhaft gesucht und hörte schliesslich den obigen Vorwurf seiner Mutter. Seine Entgegnung weist auf seine kommende Aufgabe als Messias, sagt aber zugleich etwas Allgemeingültiges zum Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Die Kinder treten als Neulinge in eine vorhandene Welt ein. Die Gesellschaft muss Veränderungen durch die junge Generation hinnehmen, und diese muss lernen, dass die Weltgeschichte nicht erst mit ihr beginnt. Die Eltern sind verantwortlich für das Leben und Werden der Kinder, aber auch für den Fortbestand der Welt. Lernen geschieht durch Anleitung und Entdeckung. Kognitives Lernen, der Treiber allen wahren Fortschritts, kann nur durch altersgemässe Anleitung gelingen.
Vor über 30 Jahren kamen staatliche Bildungsstrategen auf die Idee, die Schüler könnten Fremdsprachen so natürlich wie die Muttersprache erlernen. Das einschlägige Lehrmittel «envol» zwang die Lehrkräfte zur Schaffung unendlicher Zusatzpapiere. Weitere Sündenfälle hiessen «Mille feuilles» und nun «dis donc!». «Mille feuilles» erntete bei einer Volksabstimmung im Kanton Basel-Land eine Abfuhr. Studien aus mehreren Ländern zeigen, dass die Lernerfolge mit der «natürlichen» Lernmethode schlecht sind. Und die Spätstarter holen die Frühbeginner nach kurzer Zeit ein. Trotzdem halten die Entscheidungsträger an der spielerischen Methode fest. Offensichtlich sollen die Jugendlichen im Kleinkindmodus niederhalten werden, wie schon Hannah Arendt vermutete. Die Überwindung der Erziehungs- und Bildungskrise erfordert eine radikale Neubesinnung auf das, was die Generationen verbindet und was sie trennt.
Weltwoche 4/2020

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