Heiliges Wachstum

Vielmehr stellen wir uns ganz und gar als Gottes Diener zur Verfügung … wie Besitzlose, die alles besitzen. (2. Korinther 6,4.10) – Unsere Zivilisation leidet keinen Mangel. Eine kleine Minderheit von darbenden Menschen ändert an diesem Befund nichts. Deshalb fand die Schülerin aus Schweden eine derart breite Resonanz mit der Forderung, den Verbrauch zu mässigen. Ich bin kein Greta-Fan, teile aber die Einschätzung, dass der gedankenlose Konsum allgegenwärtig ist, von der Überheizung der Räume über die unzähligen überflüssigen Geräte bis zur Mobilität. Dass die Menschen aus freien Stücken oder wegen Vorschriften verzichten würden, ist längst widerlegt. Zudem wächst die Weltbevölkerung. Noch schneller wächst die Zahl derer, die auf ihre ersehnte, bessere Lebensqualität und damit auf mehr Verbrauch zusteuern. Die Chance, dass die Verschwendung sinkt, steckt ausschliesslich in höheren Gewalten. Missernten, Naturkatastrophen, Kriege und Seuchen haben jeweils Abwärtsbewegungen ausgelöst. Sie gingen mit Leid einher, sorgten aber für neue, oft zukunftsweisende Prioritäten. Das Coronavirus könnte einen solchen Effekt hervorrufen. Es drückt nicht zuletzt auf verschwenderische Luxussegmente wie Flugreisen und Kreuzfahrten. Auch die Autobranche befürchtet Einbussen.
Diese organische Korrektur müsste eigentlich willkommen sein. Was hören wir aber vom Finanzminister der grössten Volkswirtschaft Europas? Olaf Scholz hat sich für ein Konjunkturprogramm ausgesprochen, wenn es die Lage erfordere. Ins gleiche Horn blasen Minister und Notenbanker in aller Welt. Es gibt nichts Heiligeres als das Wachstum. Die Ankündigungen enthüllen, wie wenig hinter den ökologischen Bekenntnissen steckt. Der Apostel Paulus redet von Besitzlosen, die alles besitzen. Der Widerspruch weist hinter den vulgären Materialismus, wo die Einsicht wartet, dass Einbussen kein Verderben bedeuten. Unzählige kulturelle Glanzlichter kamen unter Entbehrungen zustande. Das sollten wir versuchen, wenigstens zu buchstabieren.
Weltwoche 11/2020

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