Der Hunger des Arbeiters arbeitet für ihn, denn sein Mund treibt ihn an. (Sprüche 16,27) – Die Sprachen ordnen die Arbeit unterschiedlichen Befindlichkeiten zu. Schweizerdeutsch sagen wir «schaffe», was die kreative Seite beleuchtet. Im Französischen und Spanischen hängen «travail» und «trabajo» mit dem lateinischen Wort Trepalium, Dreipfahl, zusammen, was ein Folterinstrument oder ein radloses Schleppgestell war. Das englische «work» zielt auf die Wirkung. Die Kulturen mit grösserem Freiheitsdrang – England und die Schweiz – setzen mehr freiheitliche Akzente. Im alttestamentlichen Hebräisch hängt der Arbeitsbegriff mit der Mühsal zusammen, weil zahlreiche Verrichtungen ermüdend, zeitraubend und gesundheitsschädigend waren. Dennoch ist er vom Folterbalken weit entfernt. Der Antrieb kommt, wie das Bibelzitat sagt, vom Arbeiter selbst, konkret von seinem Hunger. Er ist der urtümliche Anreiz und kann zur Arbeit beflügeln. Anreize bestimmen das menschliche Verhalten. Wird mein Hunger auch bei Untätigkeit gestillt, so schaffe ich nichts. Deshalb sollte die Unterstützung bei Arbeitslosigkeit nicht zu lange dauern. Sie darf aber auch nicht zu kurz sein, denn wer eine neue Stelle suchen muss, sollte Zeit haben, sich beruflich neu zu orientieren. Eine möglichst passende Arbeit erhöht sowohl die Zufriedenheit als auch den volkswirtschaftlichen Nutzen. Die Parlamente ignorieren oft die Fehlanreize, die ihre Beschlüsse nach sich ziehen. Und dramatisch gescheitert sind die Versuche, in Afrika durch Entwicklungshilfe Wohlstand zu schaffen. Asiatische Länder mit viel weniger Entwicklungshilfe sind auf dem Weltmarkt erfolgreicher. Hilfestellungen können kurzfristig sinnvoll sein. Der wahrhaftige Anreiz für ein gutes Leben bleibt jedoch, seinen Hunger durch eigene Leistungen stillen zu wollen.
Weltwoche 36/2022