Und der Herr sprach: Die Hand an das Feldzeichen des HERRN! Krieg hat der HERR mit Amalek von Generation zu Generation. (Exodus 17,16) – Der ungarische Schriftsteller Imre Kertész hat einst in seinem Buch «Der Betrachter» darauf hingewiesen, dass die modernen Kriege im Wesentlichen biblische Kriege seien, auch wenn wirtschaftliche Interessen mitspielen mögen. Damit meinte er Kriege moralischer Art zwischen dem Zerstörerischen und dem Aufbauenden, zwischen «Gut» und «Böse». Diese Kriege haben religiöse oder ideologische Motive. Zum Beispiel wäre heute ein Krieg zwischen den alten Streitmächten Frankreich und England absurd, ein Krieg zwischen einem totalitären Frankeich und einem freiheitlichen Grossbritannien jedoch denkbar. Die Bibel erzählt von Kriegen in der Frühphase, in denen Gott mit den Israeliten kämpft, weil sie sein Volk sind. Später rückt das Alte Testament von dieser Sichtweise ab und sieht sowohl den Krieg als auch die Israeliten kritisch.
Ein offener religiöser Impetus treibt heute die Islamisten an. In Russland liegt es weniger klar zutage, aber auch Moskau ist vom Sendungsbewusstsein erfüllt, Eurasien zu führen und zu erlösen. Die russisch-orthodoxe Kirche fährt das Rennen in der Pole-Position mit. Putin mag am ukrainischen Getreide interessiert sein, aber wichtiger ist ihm die Heimholung der Ukraine ins russische Imperium, damit sie nicht dem dekadenten Westen anheimfällt. Nun besteht die Gefahr, dass der Westen diese manichäische Weltsicht mit umgekehrten Vorzeichen übernimmt und meint, alles Böse dieser Welt stecke in Russland und in Putin. Der Widerstand gegen die russische Aggression muss sein, aber die Freiheit des Westens ist ebenso bedroht durch seine hauseigenen Politiker, welche die Bürger mit Sozialbonbons, Panikmache und leeren Versprechungen gängeln.
Weltwoche 29/2022