Arbeit und Werk

Bis zur Stunde hungern und dürsten wir … und sind ohne feste Bleibe und mühen uns ab mit unserer Hände Arbeit. (aus 1.Korinther 4,11.12) – Hannah Arendt wies darauf hin, dass der Unterschied zwischen Arbeit und Werk sich in den Sprachen von der Antike bis zur Gegenwart hartnäckig erhalten hat. Im Deutschen also Arbeit und Werk, im Französischen Travail und Oeuvre, im Englischen Labour und Work. Es fällt auf, dass Werk, Oeuvre und Work vorwiegend Kunstwerke bezeichnen und damit dem edleren Teil der menschlichen Aktivitäten angehören. In der griechischen Antike wurden die Arbeiten für den täglichen Bedarf verachtet. Weil nach dem Verbrauch nichts davon übrigblieb, hiessen diese Bemühungen auf Griechisch ponein. Das Verb ist mit poneros (schlecht) verknüpft, und die entsprechenden Arbeiten hatten die Sklaven zu leisten. Die Tätigkeiten der freien Bürger hiessen Erga und in der Verbform ergazesthai. Die Silbe erg ist der sprachliche Vorfahre von Werk und Work. Damit waren Kunstwerke, Kultur und vor allem Politik gemeint. Der Dünkel und die Selbstgefälligkeit mancher Politiker hat hier seine antiken Wurzeln. Da die Menschen sich eigentlich dem Lebensunterhalt widmen mussten, konnten sie nur frei werden, indem sie andere unterwarfen und zwangen, das Notwendige für sie zu tun. Gegenthesen gab es schon früh. Von Hesiod ist überliefert: «Arbeit bringt keine Schande, Nichtstun aber ist Schande.»
Interessant ist, dass im Neuen Testament das Verb ponein kein einziges Mal vorkommt. Sämtliche Tätigkeiten im Weinberg, im Haus und überhaupt mit den Händen werden mit ergazesthai ausgedrückt. Das entspricht dem Schweizerdeutschen schaffe. Die einfachen Jobs stehen auf einer Ebene mit den edlen Werken und sogar mit den Taten Gottes. Dadurch bekommen die Menschen, die sie tun, eine ungeahnte Würde.
Weltwoche 4/2023

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