Ideologien wegkippen

Darum soll niemand über euch zu Gericht sitzen in Sachen Speise und Trank, Fest, Neumond oder Sabbat; das alles ist ja nur ein Schatten des Künftigen, das Wirkliche ist Christus. (Kolosser 2, 16f) – Ordentliche Gerichte sind dazu da, Angeklagte gesetzesgemäss und öffentlich zu verurteilen oder freizusprechen. Daneben gibt es auch selbsternannte Richter und Richterinnen, die in Medien und Netzwerken andere verurteilen, nicht zu Bussen und Gefängnis, aber zum Verlust des Ansehens und und oft zum Ausschluss aus Gesellschaft und Wirtschaft. Die Anklage lautet meistens anders als im Kolosserbrief. Speisen kommen neuerdings wieder vor, nicht ob sie koscher, sondern ob sie irgendwie schädlich seien. Informationen über die Substanzen in den Lebensmitteln sind sinnvoll, eignen sich aber nicht als Kriterium, um die Heilsgemeinschaft von den Verdammten abzugrenzen. Ebenso wenig eignen sich dafür andere Heilsbotschaften wie die Klimarettung, der Antirassismus oder die Impfpflicht. Die Aufmerksamkeit sollte sich nicht vom Verdacht leiten lassen, dass Gruppen, denen man selber nicht angehört, auf das Verderben hinarbeiten. Wohin das führt, zeigt der Vergleich zwischen verschiedenen politischen Kulturen und ihrem Umgang mit neuen Kräften. In Deutschland wird die AfD seit Jahren wie eine Seuche isoliert. Dadurch gewinnt sie Wähleranteile. Die FPÖ in Österreich war mehrfach an Regierungen beteiligt und ist dadurch entzaubert. Italien wird seit einiger Zeit von angeblichen Neo- und Postfaschisten (mit-)regiert, und siehe da: Sie machen es nicht schlechter als ihre Konkurrenten aus den muffigen Salons. Anstatt das Ungewohnte anzuklagen, möge man den Blick auf den Repräsentanten Gottes richten. Er hat die Ungeliebten aufgesucht und die Ideologien zugunsten des Respekts und der Liebe weggekippt.
Weltwoche 15/2023

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