Barmherzigkeit und Sozialstaat

Am andern Morgen zog er zwei Denare hervor und gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn! Und was du darüber hinaus aufwendest, werde ich dir erstatten. (Lukas 10,35) – Nachdem er die Wunden verbunden hat, bringt der barmherzige Samariter den Verletzten in ein Hotel und gibt dem Gastwirt den Auftrag, auf seine Kosten für ihn zu sorgen. Barmherzigkeit kann durchaus in Zahlungen münden – allerdings freiwillige. Das griechische Wort für Barmherzigkeit meint ursprünglich die Innereien und bedeutet eine innere Regung im Sinne von Mitleid. Mitleid und Liebe gibt es nicht kollektiv, so wenig wie ihr Gegenteil, den Hass. Kollektiver Hass ist immer ein Fabrikat zur Manipulierung der Massen. Auch die kollektive Nächstenliebe, trotz edlen Motiven, täuscht die Massen. Denn Zuwendungen grosszügig austeilen kann man nur, wenn man das Geld zuvor anderen Leuten wegnimmt. Und die Sozialbürokratie schöpft einen ansehnlichen Teil für sich selbst ab. Dass Umverteilungen dennoch beliebt sind, liegt an der Steuerprogession. Stimme ich höheren Sozialleistungen zu, kann ich als Mittelständler oder Kleinverdiener darauf zählen, dass «die Reichen» sie bezahlen. Die Top 10% der Verdiener bezahlen 55% aller Einkommenssteuern, und mehr als ein Viertel der Steuerpflichtigen bezahlt keine direkte Bundessteuer. Soziale Wohlfahrt ist das Leben auf Kosten anderer, und diese anderen sind zunehmend die kommenden Generationen. Die Rechnung kann längerfristig nicht aufgehen, weder bei der Altersvorsorge, noch beim Gesundheitswesen, noch beim Öffentlichen Verkehr. Das System Überkonsum mit dem Namen Sozialstaat hat keine Zukunft. Es zieht Nutzniesser aus aller Welt an, treibt in Verteilkämpfe und enthält Bürgerkriegskeime. Andere Länder sind tiefer in dieser Sackgasse. Die Schweiz könnte vielleicht noch umkehren.
Weltwoche 41/2023

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