Bildung als Gestaltungsaufgabe

Ihr habt den neuen Menschen angezogen, der zur Erkenntnis erneuert wird nach dem Bild seines Schöpfers. (Kolosserbrief 3,10) – Das Wort Bildung bezeichnet keinen Zustand, sondern eine Handlung und Aufgabe. Ernähren und pflegen kann man auch Pflanzen. Erziehen kann man auch manche Tiere. Aber bilden kann man nur den Menschen. Die lateinischen Sprachen reden von Formation oder Cultura und verdeutlichen, dass es sich um Gestaltung handelt. Wer die Menschen gestalten möchte, braucht ein Modell. Zufälle treten zwar auch bei der besten Bildung auf, doch kann sie keinesfalls ins Blaue hinaus geschehen. Die Hauptrichtung muss klar sein. Der Kolosserbrief redet vom Bild des Schöpfers, das die Erkenntnis und die Bildung leiten soll. Gott der Schöpfer hat sich im Menschen Jesus offenbart. Jesus hatte göttliche Eigenschaften, und das darf in die Bildung einfliessen. Sie darf sich hohe Ziele stecken, und es gibt ja Beispiele von Menschen, die derart bewundernswerte Kenntnisse und Fähigkeiten erreicht haben, dass ich mir daneben mickrig vorkomme. Genies kann die Bildung keine herstellen, aber sie kann ein Ideal anpeilen. Und natürlich muss sie berücksichtigen, was im konkreten Menschen steckt und was nicht.
Trotz allen Idealvorstellungen über den Menschen, wie sie vor allem das Zeitalter der Romantik hervorgebracht hat, müssen die Bildungsprojekte bei der Wirklichkeit bleiben. Jesus wurde hingerichtet. Die Bildung darf das nicht ausblenden, und das heisst: Sie muss die Bereitschaft zum Garstigen, die ebenfalls im Menschen steckt, einbeziehen. Die Barbareien des 20. Jahrhunderts haben das überhöhte Menschenbild widerlegt. Und vielleicht geschieht solches auch jetzt in unbekannten Dunkelkammern. Gebildet ist der Mensch dann, wenn er die hehren Ideale mit Skepsis betrachtet und anstrebt.
Weltwoche 47/2023

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