Bin ich recht?

Wir sind zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir aus dem Glauben an Christus gerecht würden und nicht dadurch, dass wir tun, was im Gesetz geschrieben steht. (Galater 2,16) – Ich vermute, dass die Titelfrage jeden Menschen ab und zu beschäftigt. Anders als die Tiere, denen der Instinkt das rechte Verhalten vorgibt, verfügen wir über Entscheidungsspielräume. Liegt die richtige Entscheidung klar zutage, dann ist es leicht. Ist das nicht der Fall, kommen verschiedene Kriterien in Betracht: Ich durchdringe die Sache, entscheide nach meiner Erkenntnis und handle entsprechend. Falls ich mich geirrt habe, befinde ich mich im Unrecht. Um diese Widrigkeit zu vermeiden, kann ich mich, anstatt an der Sache, am Verhalten jener Leute orientieren, die mir wichtig scheinen. Gemeinsam mit der Meute Unrecht zu haben, ist halb so schlimm. Hier wurzeln die Denknormierungen der Gesellschaft. Erscheine ich der Umgebung als konform, dann bin ich okay. So lautet das moderne Gesetz, durch das sich die Menschen rechtfertigen.
Aber die Rechtfertigung durch Gott hat einen andern Dreh. Sein Gesetz dient nicht als Befähigungsausweis, sondern als Lebenshilfe. Will ich mir die Gerechtigkeit selbst aneignen, indem ich Wohlverhalten zur Schau stelle, so hinke ich dem Werk Gottes hinterher. Denn er hat längst dafür gesorgt, dass ich recht bin und gibt es mir zu verstehen. Bin ich aber ihm recht, und begleitet er seine Schöpfung in göttlicher Fürsorge, dann besteht kein Zwang, trendigen Ideen und Projekten nachzulaufen. Noch weniger besteht ein Zwang, sich fremden Meinungen und Verhaltensschablonen zu unterwerfen. Wir sind frei. Und wenn andere Menschen Gott ebenfalls recht sind, dann sollen sie auch mir recht sein. Jeder kann in einer Sache Unrecht haben. Aber jedes Dasein ist gerechtfertigt.
Weltwoche 4/2024

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