Der Work-Life-Balance-Irrtum

Und sie werden Häuser bauen und darin wohnen und Weinberge pflanzen und deren Früchte essen. … Was ihre Hände erarbeitet haben, werden meine Auserwählten geniessen. (Jesaja 65,21f) – Diese Sätze aus dem Propheten Jesaja beschreiben den paradiesischen Zustand auf der neuen Erde unter dem neuen Himmel. In jenem Zustand wird trotz Jubel und Frohlocken (V.18) auch gearbeitet. Die moderne Work-Life-Balance-Idee suggeriert, Arbeit und Leben seien Gegensätze. Doch gab es Zeiten, wo hienieden die allermeisten Leute 80 Stunden wöchentlich arbeiteten und dennoch lebten. Das Gegenteil von arbeiten ist nicht leben, sondern verbrauchen und geniessen. Wer jedoch nur verbraucht und geniesst, wird unzufrieden, deshalb arbeiten die meisten Leute gerne. In der Bibel ist die Arbeit kein Übel. Es war Karl Marx, der verlangte, dass «die Kommunistische Revolution die Arbeit beseitige». Ein Leben ohne Arbeit ist durchaus denkbar, allerdings nur für eine Minderheit, welche die andern für sich arbeiten lässt. In der griechischen Polis schufteten die Sklaven für die Bürger, damit sich diese den höheren Angelegenheiten widmen konnten. Ebenso krüppelten in den kommunistischen Ländern die Proletarier für die Parteibonzen, damit diese sich an gemütlichen Sitzungen räkeln können. Marx würde sich wundern, wie kurz die Arbeitszeiten im Kapitalismus geworden sind. Und weil er erwartete, dass die gewonnene Zeit automatisch für «Höheres» frei wird, würde er sich noch mehr wundern, dass sich die Menschen stattdessen in den schnöden Konsum stürzen. Ein längerer Ruhestand, mehr Freizeit, höhere Renten und Löhne steigern die Nachfrage nach Kreuzfahrten und fördern den Co2-Ausstoss. Der Weg in diese Sackgasse begann mit dem Irrtum, die Arbeit gehöre nicht zum Leben. Die Bibellektüre verhilft zur Klarsicht.
Weltwoche 2/2024

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