Vergebung und Umkehr

Johannes der Täufer zog durch die ganze Gegend am Jordan und verkündigte eine Taufe der Umkehr (griechisch Metanoia) zur Vergebung der Sünden. (Lukas 3,3) – Der Advent richtet die Aufmerksamkeit auf das Kommen Gottes. Zu diesem Kommen gehört die Vergebung; zur Vergebung gehören das Nach-Denken und der Sinneswandel, was beides im griechischen Wort Metanoia steckt. Anderen zu vergeben, kann schwer fallen. Noch mehr Mühe bereitet es zuweilen, die Vergebung für sich selbst anzunehmen. Gelingt es nicht, droht eine trostlose Odyssee der Wiedergutmachung. Ein Beispiel dafür bieten die Deutschen. Kündige ich einen Vortrag über deutsche Geschichte an, so erwartet das Publikum das Thema Hitler und Nazi. Aber die deutsche Geschichte ist ja viel älter, nämlich 1200 Jahre alt, wenn man den Anfang bei Karl dem Grossen setzt. Zu ihr gehört die Nazizeit als schrecklichste Phase, doch während Jahrhunderten lebten die Deutschen friedlich in kleineren Fürstentümern. Sie hatten viel weniger imperialistische Gelüste als Frankreich, England oder Spanien, auch als die Niederlande und Portugal. Zwar setzte Preussen militärische Akzente, existierte jedoch nur anderthalb Jahrhunderte. Es erlebte eine Machtkonzentration bei Friedrich Wilhelm I. und dann eine internationale Karriere unter Friedrich dem Grossen, doch auf der Landkarte war Preussen veränderlich und im Innern tolerant. Am Ersten Weltkrieg schliesslich waren die Deutschen keineswegs allein schuld. Deutschland und Israel wurden nach der Katastrophe – wie mir deutlich scheint: nach dem Willen Gottes – wiederhergestellt. Beide Länder haben gute Gründe, Angriffe abzuwehren und ihre eigenen Interessen zur Geltung zu bringen. Umkehr und Busse sind manchmal richtig, bilden jedoch nur die Aussenseite der Vergebung und sollen nicht zum Dauerzustand werden.
Weltwoche 51/2023

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